
Kapitel eins
Abigail
Mein Start in der Traumfabrik ist einfacher gewesen, als ich es ursprünglich gedacht hatte. Vielleicht zu einfach, wenn man bedenkt, dass nach einem schnellen Aufstieg oft ein tiefer Fall folgen kann. Und genau so ist es bei mir gelaufen – wie könnte es auch anders sein?
Wie viele aufstrebende Regisseurinnen habe auch ich als Assistenz angefangen, um mir meine Sporen zu verdienen. Wenn man vom Land kommt, vorher nur beim örtlichen Fernsehsender in der nächstgrößeren Stadt gearbeitet hat und sich in Hollywood behaupten will, sollte man zunächst kleine Brötchen backen. Nach dem Motto: Klein anfangen um groß rauszukommen. Erfahrungen sammeln und sich Skills aneignen, die man in der harten Filmbranche braucht, ist das A und O. Auch meine Eltern haben mir ans Herz gelegt, einen Schritt nach dem anderen zu gehen. In diesem Bewusstsein habe ich den utopischen Versuch, mich auf eine der freien Stellen als Regisseurin zu bewerben, erst gar nicht gewagt. Ich bin auf die Assistenzjobs losgegangen, auch wenn diese Brötchen meist ganz besonders klein sind, beinahe Krümel. Doch ich hatte Glück und eine Stelle bei einem der Newcomer-Regisseure schlechthin ergattert. Ich bekam einen Job bei Kenneth Crawford, der bei so ziemlich jeder gehypten Serie mitgemischt und einen Preis nach dem anderen für seine herausragende Arbeit abgeräumt hat. Dass ausgerechnet ich unter den vielen Bewerberinnen als seine Assistentin ausgewählt wurde, glich für mich einem Wunder. Es lief blendend für mich, ich strengte mich an und leistete gute Arbeit. Bis ich diese eine goldene Regel gebrochen hatte und mit meinem Chef im Bett gelandet bin.
Nicht nur einmal.
Nicht zweimal.
Immer wieder.
Ständig.
Obwohl ich mich nie als naives Landei gesehen habe, war ich es in diesem Fall doch. Das drohende Unheil hatte ich nicht auf mich zukommen sehen, bevor es mich mit voller Wucht traf und mühelos mit sich riss. Es hat alles unter sich begraben, was ich hatte erreichen wollen und wovon ich geträumt hatte. Schlimmer noch, es hat mein gesamtes Leben auf den Kopf gestellt. Deshalb drehe ich nun anstelle von Crime- oder Mystery Serien und statt großer Liebesdramen, die auf Netflix laufen, Reality-TV.
Nicht irgendein Randformat, sondern eine Serie der Sorte, deren Einschaltquoten durch die Decke gehen und die abertausenden von Frauen gefällt. Mit Ausnahme von mir selbst.
Strong Productions ist meine zweite und mit Sicherheit letzte Chance in Hollywood. In diesem Business gibt es Möglichkeiten nicht wie Sand am Meer — oder in meinem Fall — Heu im Stall. Ganz im Gegenteil. Wenn es eines gibt, was die Traumfabrik besonders gut kann, dann ist es, Dinge immer wieder ans Licht zu holen und darauf herumzureiten. Verzeihen und Vergessen? Kaum möglich. Dabei wäre in meinem Fall beides von Nöten.
Die Produktionsfirma, in der ich nun arbeite, richtet sich speziell an ein weibliches Publikum und produziert für landesweite Sender. Wir begleiten erfolgreiche Geschäftsfrauen, aber auch Vollzeitmütter durch ihren wilden Alltag, berichten über den internationalen Weltfrauentag und drehen mit bekannten Aktivistinnen. Die ganz großen Liebesfilme und die spannendsten Thriller, die mit Heldinnen in den Hauptrollen besetzt sind, werden ebenfalls von uns gedreht. Strong Productions widmet sich den Frauen und genau das war neben der niedrigen Männerquote im Unternehmen meine Motivation, unbedingt Teil dieses Teams werden zu wollen. In einem Umfeld mit weniger Testosteron laufe ich nicht Gefahr, mich zu verlieben oder Fehler zu machen.
Strong Productions steht für viele interessante Formate, die mich ansprechen, und geballte Frauenpower. Umso schlimmer, dass ich ausgerechnet an die Produktion geraten bin, mit der ich mich am wenigsten identifizieren kann. Mister One ist eine der erfolgreichsten Dating-Shows der USA. Vielleicht sogar die erfolgreichste überhaupt, wenn man nicht nur die Einschaltquoten, sondern auch das mediale Interesse bemisst. Millionen von Frauen verfolgen einmal jährlich, wie fünfzehn Kandidatinnen fünf Wochen lang um einen erfolgreichen, attraktiven und charmanten Traummann wetteifern. Wie sie mit ihm in einer riesigen Villa, die nur so vor Luxus strotzt, leben. Wie sie auf extravagante Dates gehen, bei denen sich die Durchschnittsamerikanerin fragt, ob es diese magischen Orte wirklich gibt oder ob das Fernsehen seine Finger im Spiel hat und diese malerische Kulisse nur für die Show erschaffen hat. All das und noch viel mehr ist Mister One.
Ich weiß das, weil meine Mutter und meine Schwestern zuhause in Alabama verrückt nach der Sendung sind und seit Jahren den begehrten Junggesellen vom Sofa aus auf der Suche nach der großen Liebe begleiten. Für mich dagegen ist die Show seit der ersten Staffel eher das öffentliche Prügeln von fünfzehn wild gewordenen Furien. Sie reißen sich um einen Alptraummann, der an Oberflächlichkeit, Arroganz und Dummheit kaum noch zu überbieten ist, nur um sich in der Öffentlichkeit zu profilieren und kurzzeitig in aller Munde zu sei.
Mister One hat schon vielen Teilnehmerinnen Tür und Tore zu sämtlichen Shows, Werbedeals und anderen Karrierechancen geöffnet. Obwohl ich wirklich offen bin, gute Unterhaltung liebe und auch einfach mal loslassen und lachen kann und nicht immer das höchste Niveau oder den größten Bildungsanspruch habe, habe ich getrost zu einem guten Buch gegriffen und mich verkrümelt, wenn der weibliche Teil meiner Familie sich die Show angesehen hat.
Als ich die Nachricht von der Produktionsfirma bekam, dass die Regieassistenz von Arlene Stone, der Regisseurin von Mister One, fristlos gekündigt hat und ich einspringen muss, war ich fassungslos und bin es immer noch. Anscheinend hat Arlene sie in den Wahnsinn getrieben und sie hat es nicht mehr ausgehalten, weswegen sie von heute auf morgen weg wollte. Schade für sie, schlecht für mich, denn Arlene ist nicht unbedingt die umgänglichste Regisseurin und in ihrem Team herrscht eine hohe Fluktuation. Nicht nur, weil viele dem Druck nicht gewachsen sind und kündigen, sondern auch weil Arlene ein ziemlich hohes Tier ist und gerne mal jemanden fristlos auf die Straße setzt. All das lässt meine aktuelle Laune nicht gerade besser werden.
„Gott, Abigail. Du siehst aus, als wärst du auf dem Weg zur Wurzelbehandlung und nicht in ein Businessmeeting, bei dem es um einen super heißen Typen geht“, sagt meine beste Freundin Madeline, die im Gegensatz zu mir so ganz und gar nicht die Nase voll von Männern hat und treue Zuschauerin der Show ist. Sie ist ein großer Fan und immer auf dem neusten Stand, wenn es um Klatsch und Tratsch aus der Promiwelt geht.
„Ob er heiß ist, weißt du doch gar nicht“, erinnere ich sie. Der Sender macht jedes Jahr ein riesiges Geheimnis daraus, wer in der kommenden Staffel Mister One wird. Selbst die Mitarbeiter sind nicht alle im Bilde darüber, wer die tragende Rolle spielt, bis wirklich gedreht wird.
„Komm schon, Abby. In welcher Staffel war es denn kein Typ, der problemlos auch hätte modeln können?“ Natürlich hat sie recht damit, denn gutaussehend waren sie immer. Madeline Smith kann allerdings kein Wässerchen trüben und keine noch so üble Pleite, die sie auch erlebt hat, lässt sie den Geschmack auf Männerbekanntschaften verlieren. Meiner hingegen ist verdorben. Ich stelle sogar die mutige These auf, für alle Zeiten nur noch die Geschmacksrichtung bitter wahrzunehmen, und da kann Mister One noch so attraktiv sein, denn ich verspüre nur noch Brechreiz, wenn ich an Dates denke.
„Gebleachte Zähne, aufgepumpte Bauchmuskeln und ein gefülltes Bankkonto gewährleisten noch lange nicht, dass die Person auch etwas auf dem Kasten hat“, erinnere ich sie, bevor ich wie jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit den letzten Schluck meines Cappuccinos trinke und den Becher in meiner Handtasche verschwinden lasse. „Es geht nicht immer nur darum. Gerade du solltest das wissen, wo du bisher auch nur Rein-fälle erlebt hast.“
„Du bist schrecklich langweilig geworden, Abby“, beschwert sich Madeline und verdreht die Augen.
„War ich schon immer.“ Wie kommt sie darauf, dass ich mich in diesen Dingen großartig verändert hätte? Okay, ich war nicht immer so zynisch, aber das ist nichts, was sich nicht mit einer großen Box Erdbeereis mit Sahne, klebriger Soße und bunten Streuseln wieder richten ließe. Zeit und Eis heilt alle Wunden, sagt man. Was sich in meinem Fall vermutlich auf Jahre belaufen wird. Oder Jahr-zehnte. Vielleicht werde ich mein Eis für alle Tage allein löffeln. Dann habe ich immerhin mehr für mich und muss mich später nicht ärgern, es mit einem Armleuchter geteilt zu haben.
„Warst du nicht“, stellt sie breit grinsend fest. „Du brauchst nur ein bisschen Sex, dann wirst du wieder lockerer.“
Ich sehe zu, dass ich einen Schritt schneller gehe, um etwas Abstand zwischen mich und Madeline und ihre Überredungsversuche zu bringen. Sie versucht seit Monaten, mich wieder an den Mann zu bringen.
„Auch dafür benötige ich keine männliche Unterstützung, aber danke, dass du dich so um mich sorgst“, halte ich dagegen.
„Du und dein Vibrator, ihr gebt ein ganz tolles Gespann ab“, zieht sie mich auf.
„Psst!“, herrsche ich sie an und ziehe sie schnell zur Seite. „Red nicht so laut!“ Mit einem Nicken grüße ich die Kolleginnen aus der Buchhaltung, die kichernd an uns vorbeiziehen. „Kannst du nicht etwas leiser sein, Madeline? Nicht jeder hier muss über mein Sexualleben informiert sein, weißt du?“
„Welches Sexualleben denn? Du hast doch gar keins.“ Ich verdrehe die Augen. „Ich meine es doch nur gut, Abby. Dein Vibrator wird es dir niemals so besorgen wie ein richtiger Mann…“
„Madeline. Nicht. So. Laut“, ermahne ich sie abermals und deute auf das Bürogebäude der Produktionsfirma, vor dem es vor Kolleginnen nur so wimmelt und in deren Radius wir uns längst befinden.
„Und zweitens wird er dich nie in den Arm neh-men, während du deine Erdbeereiscreme löffelst, dich nie trösten, wenn du traurig bist oder dich fragen, ob du ihn heiraten und mit ihm alt werden willst“, flüstert sie nun endlich.
Ich lege ihr einen Arm um die Schultern. „Dafür wird mein Vibrator mich nie enttäuschen, solange ich seine Batterien regelmäßig auflade.“ Meine Mundwinkel zucken und ich kann mein Schmunzeln nur schwer unterdrücken.
„Du bist eine zynische, biedere alte Jungfer geworden.“ Sie zwinkert mir zu. „Trinken wir später einen Cocktail auf dein elendes Schicksal?“
„Sicher.“ Sie winkt mir zu und im Augenwinkel sehe ich noch, wie meine Freundin mit einem Kopfschütteln weiterläuft und sich auf den Weg in ihre kleine Boutique macht, die sie in einer gut besuchten Fußgängerzone ein paar Straßen weiter betreibt. Madeline lässt bei dem Thema „Abby und die Männer“ nicht locker, genau so wenig wie ich es tue, wenn es darum geht, mir nicht wieder den nächsten Reinfall an Land zu ziehen.
Ich streiche den Ärmel meiner Bluse glatt, die ich mir auf Madelines Anraten locker in meinen schwarzen Bleistiftrock gesteckt habe, während der Aufzug mich in die zehnte Etage bringt. Heute trifft sich das gesamte Team von Mister One, um die näheren Abläufe und Details zu besprechen. Als ich aus dem Aufzug steige, renne ich fast in Arlene hinein.
„Da bist du ja endlich.“ Sie klingt zum Glück erleichtert und nicht angesäuert, weil ich nur zehn Minuten zu früh komme. Meine Kollegen sind anderes von mir gewohnt, denn ich bin gerne eine halbe Stunde vor Terminbeginn da. „Ich dachte schon, du verspätest dich zu unserem großen Auftakt.“ Arlene Stone ist eine Frau in den frühen Fünfzigern und über alle Maßen resolut. Sie wird für ihren starken Willen, ihre Durchsetzungsfähigkeit und die daraus resultierenden Produktionen genauso gefeiert, wie sie von vielen Menschen gefürchtet wird – insbesondere von Männern. Abgesehen davon teilen wir uns genau drei Gemeinsamkeiten: den Beruf, die schlechte Meinung über die Penisträger dieser Welt und unsere von Natur aus roten Haare.
„Niemals“, sage ich triefend vor Ironie. Arlene kennt meinen Standpunkt zum Format, ist aber deswegen keineswegs eingeschnappt oder dergleichen. Sie versteht mich.
„Merk dir eins, Abigail: es ist am besten, wenn du dir während der gesamten Dreharbeiten vorstellst, dass wir im tiefsten Dschungel sind und irgendwelche Primaten bei ihrem Balzverhalten beobachten. Als wären wir Dokumentarfilmer. Glaub mir, das macht das Ganze einfacher, denn du wirst die nächsten fünf Wochen mit so viel Idiotie zu tun haben, dass du manchmal denkst, ernsthaft verrückt zu werden.“ Arlene macht keinen Hehl daraus, dass sie die Show nicht ganz ernst nehmen kann, zumindest nicht inhaltlich.
Ich nicke stumm und folge ihr in den Besprechungsraum, der bereits gut gefüllt ist. Jammern bringt ohnehin nichts. Wenn ich dauerhaft bei Strong Productions bleiben möchte, darf ich nicht direkt im ersten Jahr negativ auffallen und eine Extrawurst fordern – da sind sie wieder, diese kleinen Brötchen.
„Dann wollen wir mal“, sagt Arlene freudig aufgeregt. „Wie jedes Jahr beginnt heute die fünfte Jahreszeit für uns in der Produktionsfirma, denn es heißt wieder: Welche hohle Nuss wird das neue Vorzeigespielzeug für unseren Mister One?“ Sie breitet ihre Arme weit aus, um ihren kleinen Vortrag besonders dramatisch zu untermauern. Sie weiß sich wirklich in Szene zu setzen und könnte auch vor der Kamera eine gute Figur abgeben. „Heute sichten wir gemeinsam die Teilnehmerinnen, um vorab schon mal einige Ideen für die Show durchzugehen. Ab jetzt können dann wie immer Wetten all jener, die nicht vor Ort sind, bei Angela vom Empfang abgegeben werden.“
Ich räuspere mich und hebe die Hand. Alle anderen scheinen darüber aufgeklärt zu sein, um welche Art von Wetten es geht. Ich jedoch habe keinen blassen Schimmer, was Arlene nicht entgeht.
„Abigail ist dieses Jahr zum ersten Mal bei Mister One und kennt unsere Gepflogenheiten noch nicht“, erklärt sie den anderen. Ich hoffe inständig, dass ich auch das letzte Mal dabei bin, aber das behalte ich für mich. „Wir haben es uns im Team zu einer kleinen Tradition gemacht, Runde für Runde zu wetten, wer weiterkommt oder gehen muss. Außerdem setzen wir darauf, mit welcher der Damen unser Mister One als erstes auf Tuchfühlung geht, welche den ersten Kuss bekommt und mit welchem Püppchen er als erstes ins Bett steigt. Die Tipps werden immer abgegeben, bevor Mister One uns über seine Entscheidungen informiert. Natürlich wetten wir nur auf das, was wir aus der Crew nicht mitentscheiden, sonst wäre es ja unfair. Wenn ich beispielsweise mein Veto in eine seiner Entscheidungen einlege, dann ziehe ich meinen Einsatz natürlich zurück.“
„Okay“, sage ich unsicher. Dieses Verhalten kommentiere ich lieber nicht weiter und erwähne auch nicht, dass mir mein hart erarbeitetes Geld zu schade ist, als dass ich es für interne Glücksspiele ausgebe. Besonders jetzt, wo ich doch einiges weniger verdiene als noch bei Ken und ich deswegen sogar in eine kleinere Wohnung ziehen musste.
„Gut“, sagt Arlene. „Da wir eine neue Kollegin dabeihaben, könnte Timothy nochmal die Regeln der Show im Schnelldurchlauf erklären.“
Timothy ist der einzige Mann im Team. Einer der überhaupt wenigen Männer, die in der Produk-tionsfirma tätig sind. Hollywood – zumindest der Teil, der sich hinter den Kameras abspielt – ist noch immer eine Männerdomäne. Während andere Firmen lediglich halbherzig eine Frauenquote erfüllen, hat Strong Productions es sich zur Aufgabe gemacht, wirklich Fernsehen von Frauen für Frauen zu machen und erfüllt dementsprechend lediglich eine kleinere Männerquote. Ich mag Timothy und seine offene Art, obwohl ich mich erst daran gewöhnen musste. Dort, wo ich herkomme, unterhalten sich die Menschen nicht in aller Öffentlichkeit über ihre Intimitäten und sind eher konservativ und zurückhaltend. In L.A. geht es dagegen lockerer zu, was ich gut finde.
„Die Show beginnt mit dem Kennenlernen unseres sexy Mister One und den fünfzehn Kandidatinnen. Dabei ziehen alle in die Villa, die Strong Productions dafür anmietet. Dieses Jahr drehen wir in Malibu. Woche für Woche scheiden Kandidatinnen aus, bis nur noch zwei Damen für das große Finale übrig sind. Um sich besser entscheiden zu können, gibt es Gruppen- und Einzeldates sowie Challenges“, erklärt Timothy weiter. „Die Kandidaten werden zusammen diverse Ausflüge machen. Besonders beliebt bei den Zuschauern sind auch die Hausbesuche, die zum Ende hin gemacht werden. Gerade das Aufeinandertreffen mit den Familien ist sehr beliebt bei den Zuschauerinnen.“
„Was sind das für Challenges?“, frage ich nach. Auch wenn ich durch meine Schwestern oft genug gezwungen war, mich zumindest akustisch von der Sendung beschallen zu lassen und mir darunter etwas vorstellen kann, frage ich sicherheitshalber nach. Immerhin musste ich bis jetzt keinen derartigen Zirkus drehen.
Arlene lacht kehlig. „Schlüpfrige Fragerunden.“
„Austesten von Fähigkeiten“, ergänzt Timothy.
„Gott!“, stöhnt Arlene. „Weißt du noch in Staffel fünf, als Dexter Becca und Rachel hat gegeneinander in einem Kussduell antreten lassen und alle Welt diese schlabbrigen Zungenspiele ertragen musste? Ich bin mir sicher, fünfzig Prozent der Zuschauerinnen waren kollektiv betrunken, denn Alkohol hat man dringend gebraucht, um das ertragen zu können.“
„Der Gipfel des Fremdschämens. Das war wahres Unterhaltungsfernsehen.“ Timothy gluckst vergnügt. „Dabei wollte Dexter ihre Zungenfertigkeiten ganz anders austesten, aber die Produktionsfirma kann nun wirklich nicht alles unterstützen.“
Entsetzt starre ich in die Runde und tue mir schwer, meinen aufgeklappten Mund wieder zu schließen. „Guck nicht so erstaunt, Herzchen. Der Typ war umgeben von Schönheiten und hatte weniger IQ-Punkte als seine Eiweißshakes, die er auf Instagram verkauft.“
Arlenes Hand trifft mit einem lauten Klatschen ihre Stirn. „Sein Kosename in der Crew war nicht umsonst der Eiweißbaron.“
O mein Gott. Es ist primitiv und dämlich und ich kann mir kaum vorstellen, dass diese Sendung so beliebt ist. Andererseits kleben meine Mutter, Schwestern und Madeline auch vor den Fernsehern und sehen sich Jahr für Jahr diese Fleischbeschau der ganz besonderen Art an.
„Es finden also Wettkämpfe statt, deren genauen Inhalt sich Mister One selbst überlegt? Wir geben das nicht vor?“
„Genau“, stimmt Timothy zu. „Das macht die Show so abwechslungsreich und am Ende auch beliebt. Anders als in vielen Formaten wird nicht alles von der Produktion und dem Sender bestimmt. Trotzdem haben wir natürlich am Ende das letzte Wort. Dexter und seinen Eiweißshake hätten wir beispielsweise nie ausstrahlen können.“
Arlene lacht. „Es hätte sich auch niemand gefunden, der diese Sache hätte freiwillig filmen wollen.“
„Oft geben wir einfach nur den Input, damit sich keine Challenges oder Dates wiederholen und wir jede Staffel das Gleiche zu sehen bekommen.
Arlene räuspert sich. „Wir wollen Entertainment. Unsere Zuschauerinnen erwarten neben romantischen Dates, malerischen Kulissen, Luxus, heißen Küssen und viel nackter Haut auch ein gewisses Maß an Action und Reibereien zwischen den Teilnehmerinnen. Sonst wird es zu harmonisch. Frauen lieben es friedlich, aber eben nicht so sehr, dass es einen anödet.“
„Was Arlene sagen will, ist, dass die Zuschauerinnen das Gezicke zwischen den Kandidatinnen lieben“, übersetzt Timothy für mich. „Eine gewisse Stutenbissigkeit gehört einfach zum Drama dazu.“
„So ist es“, gibt Arlene schließlich zu. „Im Regelfall sind die Damen so angefixt von unserem Mister One, dass sie von ganz allein für die nötige Unterhaltung sorgen. Allerdings kommt es auch vor, dass wir nachhelfen müssen, damit es so richtig eskaliert.“
„Eskaliert?“, wiederhole ich ungläubig.
„Nun, Abby, es ist so“, sagt Timothy, der offenbar viel eher bereit dazu ist, Klartext zu reden als Arlene. „Wir sehen uns die Kandidatinnen genau an und wenn wir bemerken, dass es bestimmte Themen gibt, bei denen die Meinungen stark auseinandergehen, dann bringen wir diese Themen zur Sprache.“
„Verstehe.“ Sie spielen die Kandidatinnen also gezielt gegeneinander aus, damit sich die Zuschauer amüsieren können. Die Frage nach der Moral dahinter stelle ich mir jetzt lieber nicht.
„Kommen wir also endlich zu den Kandidatinnen“, sagt Arlene aufgeregt und hämmert auf ihr Tablet, bis auf dem Monitor an der Wand das Logo von Mister One auftaucht, das von dem goldenen Ring geziert wird, den die Siegerin am Ende symbolisch an den Finger geschoben bekommt.
„Unsere erste Anwärterin ist Theresa Lawrence.“ Eine blonde junge Frau posiert in schwarzer Spitzenwäsche und blickt lasziv in die Kamera. „Theresa ist sechsundzwanzig Jahre alt und Dessousmodel. Außerdem hat sie eine Menge Follower auf Instagram und macht dort auf sich aufmerksam.“
Ich schlage die kleine Mappe auf, die zu mir durchgereicht wird und schaue mir die
Bewerbungsunterlagen von Theresa an. „Jessica Turner – kurz Jessi. Sie ist mit einundzwanzig Jahren unsere jüngste Teilnehmerin “, fährt Arlene fort und ich bin dankbar, dass Jessi wenigstens alleine Schnaps kaufen und wählen darf. „Sie ist ebenfalls auf Instagram aktiv, wirbt auf ihrem Account für Haarpflege und ist eine richtige Partymaus.“
„Entschuldigung“, unterbreche ich sie. „In den Bewerbungsunterlagen steht, dass sie Wirtschaft studieren oder gewinnbringend heiraten möchte.“
Arlene hebt eine ihrer roten Brauen. „Und?“
„Das kann unmöglich ernst gemeint sein?“ Ich starre in Jessicas dunkelblaue Augen, die mich von dem Monitor aus ansehen.
„Sie ist jung und braucht das Geld“, scherzt Timothy. „Aber ja, es ist ihr Ernst. Sie hat darauf bestanden, dass wir diese Information auch so ausstrahlen. Sollte es mit Mister One nichts werden – und das wird es eigentlich nie – findet sie vielleicht auf diesem Weg einen anderen passenden Mann.“ Ich schlucke den dicken Kloß darüber herunter, so etwas ernsthaft zu denken und dann auch noch in eine Bewerbung zu schreiben. Wer tut denn sowas? Selbst wenn jemand es wirklich beabsichtigt – und natürlich weiß ich, dass es auch unter Frauen falsche Biester gibt, die es nur darauf anlegen – würde doch aber niemand völlig ungeniert und in aller Öffentlichkeit Derartiges von sich preisgeben.
„Natascha Nowikow“, stellt Arlene die nächste Kandidatin vor, was Timothy mit einem Glucksen kommentiert. „Unsere Schönheit aus Russland ist siebenundzwanzig Jahre alt und Eventmanagerin.“ Endlich eine erfolgreiche Frau mit einem richtigen Job. „Außerdem war sie schon zweimal im Playboy.“ In Gedanken ohrfeige ich mich, weil ich annahm, hier die erste halbwegs normale Kandidatin vor mir zu sehen.
„Rebecca Simmons ist vierzig und geschieden“, fährt Arlene fort. „Sie designt seit der Scheidung Unterwäsche und hatte bereits Theresa in einer ihrer Kampagnen, was uns in Punkto Stutenbissigkeit bestimmt noch zugutekommen wird, denn ihre Zusammenarbeit endete nicht friedlich. Sie ist außerdem unsere älteste Kandidatin.“
So geht es weiter bis wir alle durchhaben und am Ende sind wir fünfzehn Frauen unterschiedlichster Typen begegnet – zumindest was Haarfarben, Kleidungsstil und Grammzahl der Silikonimplantate angeht. Auffällig ist für mich dabei, dass alle eine gewisse Oberflächlichkeit was ihr Äußeres angeht vereint – zusätzlich zu der Affinität für Schönheitschirurgie und die Selbstdarstellung in sozialen Medien. Natürlich sind das die Attribute, mit denen ich schon vorab gerechnet hatte und die vermutlich erst die Eintrittskarte in ein solches TV-Format sind. Was mich allerdings wirklich schockiert, ist, dass von fünfzehn Frauen gerade mal acht einer richtigen Tätigkeit nachgehen, wobei ich großzügiger Weise schon die Sängerin einer Rockband, eine eigene Burlesqueshow in Las Vegas und Gastauftritte in einer Seifenoper als solide Berufe mitgezählt habe. Die anderen verdienen ihren Lebensunterhalt allein mit der Zurschaustellung ihrer Selbst im Internet oder werden von Mama und Papa gesponsert.
„Eine letzte Frage habe ich noch“, kündige ich an.
„Bitte.“ Timothy nickt in meine Richtung.
„Ich weiß, dass die Identität des Kandidaten bis zum Dreh geheim bleibt, aber nur um mich mental etwas besser aufgestellt zu fühlen, mit was für einer Sorte Mann muss ich rechnen?“
Arlene entfährt ein hexenhaftes Lachen, bevor sie sich über den Tisch in meine Richtung beugt. „Mit der allerschlimmsten, Abigail.“
Später am Abend treffe ich mich mit Madeline in unserem Stammlokal, direkt am Santa Monica Pier, wo wir uns auf der Terrasse die tiefstehende Abendsonne ins Gesicht scheinen und gemeinsam den Tag ausklingen lassen. Madelines Familie wohnt, wie meine eigene, weiter weg, weswegen wir froh sind, uns hier gefunden zu haben. Genau wie ich ist sie mit mehreren Geschwistern aufgewachsen und es nicht gewohnt, ihr Ding komplett alleine durchzuziehen. Sie vermisst ihr Zuhause, konnte aber nicht in der Provinz bleiben, um sich ihren Traum zu verwirklichen. Die Kleinstädte Amerikas sind nun mal nicht die Fashion-Metropolen dieser Welt. Anders als ich fühlt sie sich zwischen all dem Glanz und Glamour L.A.‘s und den aufgesetzten Menschen, die diese Stadt bevölkern, pudelwohl.
„Du meinst also wirklich, dass der Sender mit Absicht solche Frauen auswählt?“, fragt sie und spielt lautstark mit den Eiswürfeln in ihrem Cocktail.
Ich schnaube leise, bevor ich mein Entsetzen über dieses Format und meinen neuen Job mit einem großen Schluck Wein hinunterspüle.
„Wir sind in Los Angeles, Abigail. Du arbeitest für das Fernsehen. Langsam solltest du dich daran gewöhnt haben, wie die Welt um uns herum tickt.“
„Vielleicht will ich das gar nicht“, entgegne ich. „Vielleicht brauche ich normale, am Boden gebliebene Menschen um mich herum und nicht diesen Zirkus hier.“ Ich weiß selbst, dass die Art Menschen, die mir guttun, hier nicht zu finden sind. Los Angeles kann einfach gestrickte Menschen wie Madeline oder mich nur in sehr geringen Dosen vertragen, ohne aus ihnen die gleiche oberflächliche Masse zu machen, wie sie hier an jeder Ecke zu finden ist. Ich weiß, dass ich nicht beides haben kann: Erfolg in dem Job, der mir Spaß macht und von Menschen umgeben zu sein, die nicht nur aus Oberflächlichkeit und Narzissmus bestehen. Ganz zu schweigen davon, dass ich mit meinem vollen Terminplan, meinen
begrenzten Mitteln und meiner kleinen Wohnung in L.A. unmöglich ein Pferd halten kann, denn das wäre das absolute Topping zu meinem persönlichen Glück. Für viele ist der Spruch, dass das Glück auf dem Rücken der Pferde liegt, nur so daher gesagt, aber für mich trifft es wirklich zu. „Normale Menschen und ein Pferd, das könnte ich dringend gebrauchen“, seufze ich.
„Was du in erster Linie ganz dringend gebrauchen könntest, ist endlich wieder einen vernünftigen Mann zwischen den Laken. Ehrlich, deine Stimmung ist so düster, dass du eigentlich nur noch schwarz tragen solltest.“
Ich rolle mit den Augen. „Geht das jetzt wieder los, ja?“
„Je länger du hier bist und vor dich hin moderst, umso zynischer, depressiver und aggressiver wirst du.“
„Du findest mich aggressiv?“
Madeline nickt bestätigend. „Allerdings. Seit der Sache mit Kenny und deiner selbstauferlegten Fastenzeit in Sachen Männer bist du unausstehlich. Dabei ist das, was dir passiert ist, schon tausenden anderen Frauen widerfahren und absolut keine Seltenheit oder etwas, wegen dem du dich schämen solltest.“
„Kenneth oder Ken“, korrigiere ich sie, dabei zieht sich bei der Erwähnung von Kenneth alles unwohl in meinem Bauch zusammen. Dieses Kapitel meines Neustarts in Los Angeles will ich am liebsten verdrängen und in die hinterste Ecke meiner Gedankenkommode verräumen, wo ich es nie mehr wiederfinde, denn ich schäme mich wirklich schrecklich für meine Dummheit und diese Demütigung. Allerdings erinnert mich meine beste Freundin gerne daran, dass ich ihrer Meinung nach zu früh aufgeben habe und ihm viel zu viel Macht über mich und mein Privatleben gewähre, wo er doch das eigentliche Übel des Dilemmas ist.
Obwohl ich nicht auf den Mund gefallen bin, bin ich keine dieser Frauen, die total polarisieren, sich in den Mittelpunkt drängen müssen oder gar offensiv einen Mann anflirten. Ich war nie verschüchtert, aber auch niemand, der es eilig hat. Ich gehe die Dinge gerne langsam an und von meinen Männerbekanntschaften zuhause kannte ich es auch nur so, dass man sich ausreichend Zeit nimmt, um sich kennenzulernen. In Summerfield gibt es nicht viel Ablenkung und die Menschen haben die nötige Muße, um sich kennenzulernen. In Los Angeles sollte aber plötzlich alles ganz anders für mich kommen, denn Ken schlug in mein Leben ein wie ein Komet. Nicht nur, dass er mich direkt im Bewerbungsgespräch eingestellt und mir sogar geholfen hat, eine schöne Wohnung in Studionähe zu finden. Nein, er kümmerte sich auch sonst um mich und meine Ankunft in Los Angeles. Entgegen all meinen Prinzipien, mich niemals mit einem Kollegen oder gar meinem Vorgesetzten einzulassen, schlief ich dennoch mit ihm. Es war wie ein unbekannter Rausch aus Endorphinen. Ich war high von seinem Charisma, seinem Wissen in der Branche, seinem Können und ja, auch von seinem nahezu perfekten Aussehen. Ich war so betrunken von ihm, dass ich alle Warnzeichen übersehen und mich auf eine Beziehung mit ihm eingelassen habe. Zumindest dachte ich, dass wir eine hätten.
Er achtete stets auf Diskretion, was mich, die blauäugige Landpomeranze, nie stutzig gemacht hat. Es ist nicht so, dass ich jedem blind vertrauen würde, aber ich habe eben auch nie gelernt, dass ich jedem mit Misstrauen begegnen muss. Da Ken in der Öffentlichkeit stand und neben seiner Tätigkeit als Regisseur auch ein gefragtes Werbegesicht auf Instagram ist, habe ich nie Skepsis empfunden, wenn er in Restaurants oder auf Spaziergängen am Pier nicht meine Hand nehmen oder sonstige Zärtlichkeiten austauschen wollte. Auch, dass er mich vor den Kollegen normal behandelt hat, obwohl am Set hinter vorgehaltener Hand über uns geredet wurde und alle heimlich von uns wussten, habe ich als Professionalität abgetan und nicht als böses Omen. Ich war sogar noch dankbar dafür, weil ich niemand bin, der sein Privates gerne vor anderen ausbreitet. Ansonsten verbrachten wir unsere gemeinsame Zeit meist in der Horizontalen in meinem schicken Apartment, das ich mir von meinem überdurchschnittlichen Gehalt leisten konnte. Und selbst das ließ mich nicht stutzig werden.
Ich war rundum glücklich, dachte, überaus erfolgreich zu sein und den Mann meines Lebens gefunden zu haben. Zumindest so lang, bis ich Ken eines Tages eng umschlungen und wild knutschend mit dem Hollywoodsternchen Helena Theafanos am Set vorfand. Dass unsere Kollegen ihm dabei zusehen konnten, wie er der griechischen Schauspielerin mit seiner Zunge die Zähne säuberte, störte ihn hingegen nicht. Oder dass er mir das Herz damit brach.
Ich schluckte meine Fassungslosigkeit herunter und schlich mich unter einem Vorwand vom Set. Weder wollte ich Ken eine Szene machen, noch mir vor den Kollegen die Blöße geben. Als ich ihn dann endlich darauf ansprach, offenbarte er mir auf ziemlich schmerzhafte Weise, dass er eine medienwirksame Beziehung mit Helena führe. Er ist mich schneller losgeworden, als ich Cut rufen konnte. Es dauerte keine zwei Tage, bis er einen Vorwand fand, um mir die Kündigung zu geben, indem er behauptete, ich hätte einige für den Dreh wichtige Unterlagen verschlampt. Verschlampt – dieses Wort benutzter er, und als wäre eine Kündigung allein nicht schlimm genug, gab er mir noch den üblen Ruf mit auf den Weg, unprofessionell zu sein. Dahin waren also mein Lover, meine Wohnung und mein Job. Nie hätte ich von mir gedacht, dass auch ich so leicht dem Charme eines Blenders verfallen und am Ende nichts weiter als ein kleines Landei sein würde, das eine weitere Kerbe in seinem Bettpfosten ziert.
„Kenneth, Ken, Kenny – am Ende bleibt es der gleiche Clown, der sich einfach für seine eigene Erbärmlichkeit in Grund und Boden schämen sollte. Wer heißt denn auch bitte wie dieser Typ von Barbie? Wenn ich es mir recht überlege, macht er seinem Namen alle Ehre. Dass Plastik auf seinesgleichen steht, ist wohl vorprogrammiert.“ Madeline reißt mich aus meinem Gedankenkino. Sie atmet tief durch, um ihre Rage zu mindern. „Ich weiß, dass du seit sechs Monaten keine Dates mehr hast und auch kein Interesse mehr an Männern.“
„Falsch“, korrigiere ich sie. „Ich habe seit sechs Monaten kein Interesse mehr an Männern aus Los Angeles.“
„Dann trifft es sich ja gut, dass ich dir ein Treffen mit jemandem organisiert habe, der ursprünglich nicht aus Los Angeles kommt“, platzt es aus ihr heraus. „Hass mich bitte nicht dafür.“
Ich leere mein noch halbvolles Weinglas. „Madeline! Du kannst das sofort absagen. Du weißt ganz genau, dass ich darauf keine Lust habe.“
„Bitte. Nur dieses eine Mal. Ich verspreche dir, er ist kein Blender und es geht ihm wirklich um die inneren Werte und vor allem ist er niemand, der vorgibt jemand zu sein, der er gar nicht ist. Ich würde sogar sagen, dass du bei ihm sofort weißt, was du bekommst. Er ist ein offenes Buch, glaub mir.“ Meine Miene bleibt hart. „Bitte, Abigail. Nur dieses eine Mal. Glaub mir, ich meine es wirklich nur gut mit dir. Ich würde dich niemals mit jemandem verkuppeln wollen, der dir schaden könnte.“
Bei Madelines liebem Dackelblick werde ich weich. „Wer ist er?“, frage ich. Möglich, dass ich ein bisschen genervt klinge. Möglich, dass ich sogar noch viel genervter bin und sie recht damit hat, dass ich allmählich zu verbalen Aggressionen neige.
„Du wirst ihn lieben“, sagt sie erfreut. Ich sehe sie skeptisch an, woraufhin sie in ihrem Shopper wühlt. „Und bis dahin bekommst du den hier von mir.“ Sie reicht mir einen weichen Gegenstand in Rosa. Erst als ich das Teil entgegennehme, erkenne ich, was es ist. Ein Penisplüschtier. „Was soll der Blödsinn, Madeline?“
„Damit du endlich einen Vibrator zum Kuscheln hast.“
„Das Ding vibriert?“ Ich verschlucke mich fast an meinem Lachen.
Sie nickt und drückt den Bauch – oder eher die Stelle zwischen Schaft und Hoden und das Ding fängt lautstark an zu vibrieren. „Ich dachte, er bringt dir vielleicht Glück bei der nervenaufreibenden Produktion.“
Ich verschränke die Arme vor meiner Brust. „Ich fahre damit auf gar keinen Fall nach Malibu.“ Der rosa Plüschpimmel landet auf dem Tisch. Madeline schnappt ihn sich und haut mir damit gegen die Schulter. „Jetzt nimm ihn schon, du biedere…“
Ich schnappe mir das Kuscheltier und verstaue es in meiner Handtasche, wobei ich penibel darauf achte, die Vibrationsfunktion nicht zu betätigen. „Ist ja schon gut, ich nehme ihn mit.“